Die etwas andere Chronik - wie sie entstanden ist.
Mit Rothweil - Aus der Geschichte von Nieder- und Oberrotweil
ist eine außergewöhnliche Chronik entstanden - außergewöhnlich
nicht allein das Buch, sondern auch sein Werdegang. 1993 initiierte Ortsvorsteher
Arno Landerer die Gründung des Heimat- und Geschichtsvereins Oberrotweil.
Die dem Verein gestellte Aufgabe war keine geringe: Er sollte eine umfassende
Chronik mit äußerst knappen eigenen Mitteln schaffen. Kreisarchivar
Heinrich Graf arbeitete eine Themenliste aus, die ganz grob das spätere
Inhaltsverzeichnis des Buches vorwegnahm. Für die Themen sollten Autoren
gewonnen werden, die möglichst unentgeltlich arbeiteten. Diese wurden rasch
gefunden: noch 1993 waren fast alle Themen besetzt - weitgehend mit Geschichtsinteressierten
aus dem Dorf, viele von ihnen ohne große historisch-fachliche und schriftstellerische
Erfahrung. Honorare mussten dann im Wesentlichen nur an wenige - nicht an alle
- Fachleute von außerhalb des Ortes gezahlt werden.
Um die Arbeit der über 25 Autoren zu koordinieren und sie zu einem Buch
zusammenzubringen wurde 1995 der Historiker Andreas Westen als ABM-Kraft eingestellt.
Die Stelle konnte bis 97 verlängert werden, danach bis zum Erscheinen des
Buches im Jahr 2000 arbeitete Westen ehrenamtlich am Projekt mit. Westen war
nicht aus Rothweil, hatte aber durch persönliche Beziehungen einen guten
Draht ins Dorf. Er scharte um sich oder es scharte sich um ihn eine Gruppe von
Autoren aus dem Ort, die nicht nur ihre Themen, sondern auch allgemeine Probleme
der Realisierung des Buches diskutierten. Das war ein Glücksfall für
Andreas Westen und die Ortsverwaltung - er stand unter dem Erwartungsdruck der
Ortsverwaltung, die Chronik möglichst rasch zu Ende bringen zu sollen.
Dazu war das Projekt aber schlichtweg nicht reif; viele Beiträge liefen
nur zögerlich ein; manche waren zulange und/oder bedurften inhaltlicher
Korrekturen. Lücken wurden offenbar - zu so wichtigen Bereichen wie die
Zehntablösung oder den Ersten Weltkrieg gingen zunächst keine Beiträge
ein. Die Arbeiten der Fachleute und der Laien hatten jeweils spezifische Mängel,
die redaktioneller Bearbeitung bedurften. Nicht zuletzt hatten die allerwenigsten
Beteiligten Erfahrungen im Publizieren und Büchermachen - die vorhandenen
Erfahrungen konnten aber in der Arbeitgruppe zusammenlaufen und wirksam werden.
Was einer allein nicht geschafft hätte, schaffte die Gruppe, aus der sich
ein Kern herauskristallisierte, der im April 1998 von der Generalversammlung
des Vereins als Redaktion des Buches bestätigt wurde. Das waren (im Bild
von links nach rechts) Axel Killian, Andreas Westen, Katja Schwab, Emil Galli
und Harald Noth.
Redaktionelle Arbeit
Unter den Redaktionsmitgliedern herrschte Übereinstimmung, dass diese
Chronik nicht, wie andernorts so oft, allein oder hauptsächlich die Geschichte
der Dorfhierarchie im Blick haben sollte. Es sollten auch nicht alle Erwartungen
aller Interessengruppen im Ort so ausgiebig erfüllt werden, wie es natürlicherweise
gewünscht wurde - so die des Weinbaus, des Wirtschaftsfaktors Nr. 1 im
Dorf, oder die der heutigen Vereine. Die Geschichte der letzten 20 Jahre schreiben
sollte besser einmal eine Generation machen, die mehr Abstand dazu hat, war
vorherrschende Meinung in der Redaktion. Im Zentrum des Interesses stand also
die Geschichte der einfachen Leute, Bauern, Frauen, Kinder des Dorfes; erst
mit der Geschichte dieser zusammen wird eine Chronik zur Geschichte des ganzen
Dorfes. Diese Sicht wurde auch den Autoren außerhalb der Redaktion unterbreitet;
sie mussten sie sich aber nicht zwangsläufig zueigen machen.
Bei der redaktionellen Arbeit gab es durchaus auch unterschiedliche Ansätze
und Positionen. Es ging um diese und weitere Fragen: Wie wichtig ist die Form
(die Gestaltung) im Vergleich zum Inhalt? Wie weit darf das Streben nach Perfektion
gehen - diesem Streben stand der Wille und die Notwendigkeit entgegen, einmal
fertig zu werden. Darf man Autoren gängeln, wenn man meint, einer vertrete
überholte Geschichtsauffassungen? Welche Ansichten über den Nationalsozialismus,
über die französische Revolution usw. sind zuzulassen? Steht es uns
überhaupt zu, eine Meinung nicht zuzulassen? So wurde in der Redaktion
um jedes Thema, um jedes Kapitel gerungen - nicht nur um die Kapitel der anderen
Autoren, sondern auch um die der Redakteure. Nötige Nachbesserungen (durch
den Autor) oder nötige Kürzungen (durch die Redaktion) waren mit dem
Autor zu besprechen. Das war nicht in jedem Fall einfach; nicht jeder Autor
sah jede Kritik ein; nicht jeder Redakteur wollte mit der Kritik soweit gehen
wie vielleicht ein anderer; oft hatte der Autor schon sein Bestes gegeben und
hätte über seinen Schatten springen müssen, um noch zu verbessern
...
Ein weiteres Korrektiv stellten die Vortragsveranstaltungen im Dorf dar. Es
war angestrebt, dass jeder Autor schon vor dem endgültigen Abschluss seiner
Arbeiten diese in einem Vortrag vorstellt und etliche haben dies auch gemacht.
Der Autor, die Autorin konnte so die Wirkung der Arbeit auf das Publikum testen,
das Publikum wiederum konnte Kritik und Anerkennung leisten. Die interessierten
Zuhörer setzen keineswegs immer die Akzente so wie die Redaktion. Von der
Redaktion für nicht sehr fundiert gehaltene Beiträge erhielten mitunter
öffentliche Zustimmung; die betreffenden Autoren konnten diese Zustimmung
der Kritik aus der Redaktion vorhalten.
Andreas Westen schreibt im Vorwort der Chronik zu den Arbeiten der Autoren:
"Manche dieser Artikel haben einen soziologischen Ansatz, manche einen
sozialgeschichtlichen, es gibt deskriptive und es gibt spekulative Ansätze.
Sie alle stehen gleichberechtigt nebeneinander. (...) Es ist so wenig wie möglich
in die den Autoren eigene Handschrift Eingriff genommen worden."
Das trifft zu, bedeutet aber nicht, dass die Einflussnahme der Redaktion gering
gewesen wäre. Vieles wurde durch redaktionelle Beiträge relativiert;
nicht zuletzt wurde durch die Gestaltung, durch die Auswahl, die Bearbeitung
und den Einsatz der Bilder starke Akzente gesetzt. Selbstredend war die Gliederung
und Gestaltung des Buchs Gegenstand intensiver Auseinandersetzungen in der Redaktion;
für die Gestaltung hatten wir in Axel Killian einen herausragenden Fachmann.
Die Grundsätze der Gestaltung, der Umgang mit den Bildern wurden der Öffentlichkeit
ebenfalls vorgestellt, sie wurden mit viel Wohlwollen aufgenommen.
Das Ergebnis liegt jedermann zur eigenen Beurteilung vor - in Gestalt des
Buches Rothweil - Aus der Geschichte von Nieder- und Oberrotweil.
Finanzierung
Zum Abschluss des Projektes hin verlagerte sich die Arbeit der Redaktion immer
mehr auf die Buchgestaltung und die Organisation des Druckes - wir lasen selbst
Korrektur, das Layout wurde im Atelier von Axel Killian selbst gemacht; die
Finanzierung des Druckes war zu klären. Die Redaktion bestand darauf, das
Buch durch eine kompetente Druckerei aus der Region machen zu lassen; bei einem
Druck sonstwo hätte gespart werden können - und wäre der Geist
des Buches karrikiert worden.
Am 5. Mai 2000 konnten Arno Landerer, Ortsvorsteher und damaliger Vorsitzender
des Heimat und Geschichtsvereins Oberrotweil, die Redakteure und die Autoren
ihr Buch der Öffentlichkeit übergeben. Ein glücklicher Tag. Dennoch
waren und sind nicht alle Probleme gelöst. Autoren und Redaktion haben
dadurch, dass sie meistens ehrenamtlich gearbeitet haben, dem Verein Kosten
an DM im sechsstelligen Bereich erspart. Aber es blieben für den Druck
der tausend Exemplare und für einige Honorare über hunderttausend
Mark zu finanzieren übrig. Der von der Ortsverwaltung und der Raiffeisenbank
organisierte Verkauf von Optionsscheinen auf die Chronik ermöglichte eine
schöne Anzahlung, aber der große Hauptteil blieb offen. Daher stellte
die Stadt Vogtsburg Mittel aus dem Erbe Wolf zinsfrei zur Verfügung. (Der
Rechtsphilosoph Erik Wolf und seine Gattin, die in Oberrotweil ihren Lebensabend
verbracht hatten, hatten der Gemeinde einen Großteil ihres Vermögens
vermacht.) Der Buchpreis wurde zunächst auf 100 Mark angesetzt. Der Verkaufserlös
fließt seitdem in das Erbe Wolf zurück. Es traten jedoch noch Kosten
auf, die bei der Festsetzung des Preises nicht absehbar waren. Weit über
die Hälfte der Bücher sind schon verkauft; aber der Markt ist jetzt
ziemlich gesättigt; der weitere Verkauf geht tröpfchenweise. Um einmal
mit dem tausendsten verkauften Exemplar vollständig zurückzahlen zu
können, muss der Buchpreis von derzeit 55 Euro vielleicht noch einmal angehoben
werden.
Harald Noth
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